Logokürzel Alte Feuerwache Mannheim

Wir sind Helden

1. Oktober 2003
Mittwoch

Einlass 20:00
Beginn 21:00



Wir sind Helden
Kleine Warnung vorab: Der folgende Text enthält drei Witze. Keine klassischen Pointen, deshalb muss man sie ankündigen. Oft wird Ironie ja nicht bemerkt, wenn an den entsprechenden Stellen keiner mit dem roten Handtuch wedelt – die Vier von der Band Wir sind Helden glauben auch nicht wirklich, sie seien die neuen Helden des Alltags, nur weil sie auf ihrem ersten Album singen: „Wir kommen, um die anderen Helden abzumelden.“ Wer schon mal auf dem Einwohneramt einer Großstadt war, der weiß, wieviel Warterei und Papierkram solche An- und Abmelderei kosten. Ein Lied ist zu wenig, so naiv ist die Helden-Band nicht.
Gerade deshalb tut es ungeheuer gut, wenn eine junge Popgruppe in Zeiten von Plastikmusik und gecasteten Superstars… wären Sie drauf reingefallen? So beginnen zurzeit ja alle Presse-Infos, die von den Guten, auch die von den Bösen. Die Leute vergessen, dass alle Musik irgendwie aus Plastik ist und alle Bands immer gecastet werden: Auch die Mitglieder von Wir sind Helden mussten sich gegenseitig entdecken, im Dschungel von Berlin und Hamburg, und feststellen, dass diese Kombination die beste aller möglichen Bands ist. „Guten Tag“, der erste Helden-Hit, das „Ça Plane Pour Moi“ für die neue Zeit, die Barrikaden-Pop-Beschwerde an die Geschäftsführer der Gegenwart hatte dieses großartige Comic-Hampel-Video, an das sich alle erinnern – „Konsumkritik + Sex = €!“ stand da in der Denkblase des Manager-Darstellers. Dass auch das nur Ironie war, müssen Wir sind Helden erst mal beweisen. Und, Überraschung, sie beweisen es schon mit diesem allerersten Album.
Wir sind Helden sind Judith Holofernes (26, Gesang, Gitarre, Konsumkritik), Mark Tavassol (29, Bass), Jean-Michel Tourette (27, Keyboards, Gitarre) und Pola Roy (27, Schlagzeug, Bart). Weil Judith den Großteil der Texte schreibt, fangen wir mit ihr an: Als Teenagerfrau sang sie in der Fußgängerzone Freiburgs Songs von Bob Dylan, Elvis Costello, David Bowie und vor allem ihre eigenen, zog dann nach Berlin und wurde vorläufig Caféhaus-Folk-Sängerin, die aber immer eine Band wollte. Eine richtige Gang mit Geheimzeichen und so, am liebsten mit Jungs. Die drei Jungs, die von ihrem Glück noch nichts ahnten, hatten auch schon viel Musik hinter sich, als Judith im Sommer 2000 bei einem Besuch in Hamburg Pola und Jean kennenlernte. Mark wurde etwas später hinzugezogen, am Ende überredete Judith die fertige neue Band dazu, ihr nach Berlin zu folgen, natürlich nicht nach Mitte, sondern mehr so nach Kreuzberg. Sie war, naja, ein Drittel erfolgreich. Pola kam mit, Mark und Jean hausen zwar unter der Woche in Schlafsäcken auf dem Balkon von David Bowies ehemaligem Berliner Zahnarzt, wohnen aber weiter offiziell in Hamburg bzw. Hannover.
„Guten Tag“ war der Titelsong einer selbst produzierten 5-Track-CD, der überraschend und ganz ohne Einsatz von Geld oder Promotion-Geschenken von den Radios gespielt wurde. Derart angestachelt, drehte die Band mit der Berliner „Filmlounge“-Gruppe das erwähnte Video. Und kam in die MTV-Rotation, obwohl Wir sind Helden noch keinen Plattenvertrag hatten. Das ist übrigens keiner der drei angekündigten Witze.
Das Album „Die Reklamation“ beantwortet nun den ersten, entscheidenden Schwung Fragen, die man den Helden stellen mag. Vor allem die, wie sie eigentlich klingen: wie New Wave, also Stranglers, The Police, Ideal, XTC, wie Indie-Rock, also Weezer, Elastica, wie Songwriter-Pop, vor allem bei den Liebesliedern. Ein von Judith im Kopfstand gespieltes, zwölfminütiges Gitarrensolo im Stil von Led Zeppelin kam leider nicht auf die Platte, weil die Jungs beim Anhören Minderwertigkeitskomplexe bekamen. Dafür singt sie noch mehr in diesem wundervollen, zeitlosen Tonfall, den man so nur von einem Mann kennt, von Rio Reiser. „Die Zeit heilt alle Wunder“ könnte von ihm sein, ein Wunder für die, die sich Judith Holofernes nur als blitzrhetorische Beschwerdeführerin vorstellen können. Klar gibt es hier Protestsongs, die sich nicht nach Wenn und Aber umgucken, mit dem Keyboard als Aufmerksamkeitssirene und dem Beweis, dass so genanntes Rocken vor allem eine Frage der Intensität ist. Es gibt ein Wutlied über zementierte Liebe namens „Denkmal“, die herausfordernd gelärmte Bitte „Kannst du mein Monster halten?“, einen becircenden Pop-Stomp über die Probleme, die „Aurélie“ aus Frankreich mit deutschen Flirtgewohnheiten hat. Die Kernsätze dieser Texte werden Sie ohnehin demnächst auf Schulmäppchen, Aufklebern, in E-Mail-Betreffzeilen und auf Hauswänden ganz in Ihrer Nähe finden. Wenn nicht, schreiben Sie es sich doch aufs eigene T-Shirt: „Lassen Sie uns durch, wir sind Arzt!“
Noch kurz die Auflösung: Natürlich ist David Bowie NIE in Berlin zum Zahnarzt gegangen, natürlich spielt Judith Holofernes KEINE Gitarrensoli. Und natürlich wurden Wir sind Helden NICHT von einem blümchenblauen Elefanten gefressen und dann direkt auf die Bühne des Madison Square Garden gespuckt. Hat ja auch keiner behauptet.
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Bianca Joseph
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Veranstalter Tocopilla