Begegnete die Biografie Lonnie Holleys uns in einer Fiktion, wären skeptische Reaktionen nicht nur absehbar, sondern unvermeidlich. Aber als radikal forcierte Variante des „American Dream“ hat diese Biografie etwas zu bieten, was die Popkultur seit jeher mit Kusshand inkludiert. Geboren 1950 als siebtes von 27 Kindern in Birmingham, Alabama erfuhr Holley eine Kindheit von Armut und Missbrauch, schlug sich als Tagelöhner mit abenteuerlichsten Jobs durch, bis er schließlich „zufällig“ zur Kunst fand. Als Bildhauer, Fotograf, Zeichner oder Performance-Künstler fanden die Arbeiten des Autodidakten Anerkennung in der internationalen Kunstszene. Im Alter von 62 Jahre erschien dann mit „Just Before Music“ Holleys Debütalbum, das von der Kritik mit Namen wie Sun Ra, Captain Beefheart, Tom Waits oder The Last Poets verglichen wurde. Das Beste daran: Wie ein exemplarischer Bluessänger transformiert er den Schmerz und das Leid seiner Biografie in etwas Positives, Lebenbejahendes. Im März erschien sein aktuelles Album „Oh Me Oh My“ auf dem Hipster-Label „Jagjaguwar“, kunstvoll produziert von Jacknife Lee und voller prominenter Features wie Michael Stipe, Bon Iver oder Sharon Van Etten. Auf gleich zwei Tracks mit von der Partie: unsere Artist in Residence Moor Mother, deren wuchtiger Zorn hier vielleicht ein Widerpart findet. Ikonoklastin trifft auf Visionär. Mit dabei: Spoken Word Poetry, Improvisation, Hip Hop, Gospel – und sehr wahrscheinlich „incredible strange music“.