Logokürzel Alte Feuerwache Mannheim

Niels Frevert & Band

9. Dezember 2014
Dienstag

Einlass 19:00
Beginn 20:00



Paradies der gefälschten Dinge Tour 2014
Präsentiert vom Rolling Stone

Red‘ nicht von Liebe, von Wahnsinn oder Schmerz. Lebe und fühle, aber plapper nicht darüber. So könnte die Prämisse lauten für das Schaffen von Niels Frevert, dessen Lieder eigentlich von allem handeln, was das Leben großartig und grausam macht, ohne dafür Pop-Superlativ-Phrasen abzuspulen. Große Momente brauchen keine großen Gesten, sie füllen auch so den Raum. Wenn sie denn wahr sind.
Das neue Album „Paradies der gefälschten Dinge” ist voll von diesen wahren Momenten, die den Hörer überraschen und überwältigen – eben weil sie sich nicht mit der üblichen Emotionalisierungsrhetorik ankündigen. Weil die Songs oft über den Umweg der Lüge und des Selbstbetrugs ins Innerste der Wahrheit vorstoßen. Es handelt vom Verlaufen und Nachhause finden. Vom Auflösen und vom Rematerialisieren.
Auflösen und Rematerialisieren, das beschreibt auch die außergewöhnlich gewundene künstlerische Laufbahn von Niels Frevert ganz gut. Mit seiner Band Nationalgalerie spielte er Rockmusik in ungestanzter deutscher Sprache, wild, frei und voll grimmigem Witz. Doch leider wollte Anfang der neunziger Jahre kaum jemand intelligenten deutschsprachigen Rock hören.
2003 trat Frevert dann für viele ganz unverhofft nach sechs Jahren Pause mit einem Album aus dem Nebel des Vergessens, das deutschsprachiges Songwriting neu definierte: „Seltsam öffne mich“ führte zu harten, aber doch tastenden Rockriffs Worte in die Popmusik ein, die man zuvor als Gefühls- und Hitkiller empfunden hat, „Einwegfeuerzeugstichflamme“ etwa, oder „Tiefkühltruhe“.
Es folgten weitere eher sperrige Liedtitel, etwa „Baukran“ und „Waschmaschine“ – aber da war schon wieder ein halbes Jahrzehnt vergangen. Sie finden sich auf dem Album „Du kannst mich an der Ecke rauslassen“ von 2008. 2011, die Abstände zwischen seinen Alben wurden endlich wieder kürzer, folgte „Zettel auf dem Boden“, in der Frevert noch einmal lakonische Beobachtungen und harmonische Pracht brillant zusammenspielen ließ.
„Paradies der gefälschten Dinge”, Frevert-Album Nummer fünf, markiert nun eine gewaltige Veränderung. Der Künstler wechselte Plattenfirma und Konzertagentur. Gemixt wurden die Aufnahmen diesmal von Olsen Involtini (Seeed, Peter Fox), der mehr Opulenz, aber auch gewagtere Dynamik in den Sound bringt. Großes Kino, das an Meilensteile des orchestralen Pop erinnert und Freverts Erkundungen falscher und echter Paradiese weite, lichte Klangräume öffnet. So können die Lieder musikalisch und lyrisch noch weitere Bögen schlagen, locken den Hörer noch tiefer in fremdes Terrain, um ihn dort mit angenehmsten Melodien und unangenehmsten Wahrheiten zu konfrontieren.
Eine Wendigkeit, die Frevert auch dem blinden Vertrauen und stillen Verstehen seiner langjährigen musikalischen Begleiter verdankt. Stephan Gade (Bass und gemeinsam mit Frevert Produzent der Platte), Stefan Will (Piano) und Tim Lorenz (Schlagzeug) sind klassisch ausgebildet; im Gegensatz zum Songschreiber, der ist Autodiktat. Im Studio wird oft gewitzelt, auf seinem Grab werde mal der Satz stehen: „Jazz war sein Hobby“. Eine Anspielung auf die komplexen Akkordfolgen, die er seinen Musikern abverlangt. Aber gerade darin liegt die Schönheit und Gemeinheit dieses Werks: Die Akkorde führen den Weg in unverhoffte Richtung, der Hörer wird reingezogen in eine fremdartig schillernde Welt, in der er doch an jeder Ecke auf eigene Erfahrungen zurückgeworfen wird.

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